Interview zum “Safe Abortion Day”

Paragraf 218 abschaffen oder nicht? Zum Safe Abortion Day wird das Thema teils hitzig diskutiert. Die Bundesregierung will den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches regeln. Auch die evangelischen Beratungsstellen diskutieren über die Selbstbestimmung der Frau und den Schutz des ungeborenen Lebens, wie Diakonie RWL-Referentin Heike Buschmann und unsere Schwangerenberaterin Andrea Vogt im Interview erklären.

Was ist der Safe Abortion Day?

Heike Buschmann: Der 28. September ist ein jährlicher Aktionstag für sichere Abtreibung, der 1990 in Lateinamerika gestartet ist und seit 2011 auf der ganzen Welt begangen wird. Der Safe Abortion Day hat ganz verschiedene Unterstützer*innen und Aktionen in den Ländern. In Deutschland gibt es eine starke Gruppe, die sich für eine Streichung des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch einsetzt. Die Ampelkoalition hat vor, den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzes zu regeln.

Wenn Paragraf 218 abgeschafft wird, brauchen wir dann in Deutschland überhaupt noch einen Safe Abortion Day?

Heike Buschmann: Wir brauchen den Safe Abortion Day hier immer noch, damit ein Diskurs stattfindet und Öffentlichkeit geschaffen wird. Das Thema Schwangerschaftsabbruch polarisiert stark: auf der einen Seite diejenigen, die die Streichung des Paragrafen 218 befürworten, auf der anderen Seite die sogenannten Lebensschützer*innen, also Abtreibungsgegner*innen. In der Mitte sollte der Diskurs stattfinden – und mindestens einmal im Jahr findet er zum Safe Abortion Day sehr angeregt statt.

Außerdem können wir uns am Safe Abortion Day solidarisch zeigen mit allen Frauen aus Ländern mit einem restriktiven Recht auf Abtreibung. Polen beispielsweise hat seit 2020 das strengste Abtreibungsrecht in Europa. Abtreibungen sind dort nur noch nach einer Vergewaltigung möglich oder wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist. Frauen brauchen weltweit eine Möglichkeit, auf sichere Art und Weise eine Schwangerschaft zu beenden.

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Heike Buschmann ist Diakonie RWL-Referentin im Geschäftsfeld Familie und junge Menschen. Sie ist für die Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatung zuständig.
Andrea Vogt leitet die Psychologische Beratungsstelle für Erziehungs-, Ehe- und Lebensberatung der Diakonie Krefeld & Viersen.

Unsere evangelischen Schwangerenberater*innen beraten unter anderem zu Schwangerschaftskonflikten und erteilen auch den Beratungsschein, der für die Abtreibung nötig ist. Wie stehen die evangelischen Beratungsstellen zur möglichen Abschaffung von Paragraf 218?

Heike Buschmann: Auch die evangelischen Berater*innen diskutieren über den Paragrafen 218. Unsere Haltung lässt sich so zusammenfassen: “Wir beraten mit der Frau, nicht gegen sie.” Viele Berater*innen erleben, dass die Frauen am Ende der Pflichtberatung sagen: “Es war gut, dass ich noch einmal mit jemandem sprechen konnte. Ich wäre aber nie freiwillig gekommen.” Auch nach dem Abbruch stehen unsere Berater*innen den Frauen zur Seite, wenn sie das möchten. Für viele von ihnen ist es gut, zu wissen, dass sie vertrauensvolle Ansprechpartner*innen haben.

Andrea Vogt: Auf der anderen Seite erleben wir den Stress der Frauen, die diesen Pflichttermin wahrnehmen müssen. Viele sind verunsichert: Was erwartet mich? Wie werde ich behandelt? Was muss ich sagen? Wenn die Frauen dann merken, dass unsere Beratungsstelle ein offener und geschützter Raum ist und sie den Schein in jedem Fall erhalten, entspannen sie sich ein Stück weit.

Heike Buschmann: Allerdings widerspricht die Pflichtberatung dem Selbstbestimmungsrecht der Frau. Wir wünschen uns, dass die Beratung und ihr positiver Nutzen wahrgenommen werden: Es ist hilfreich und entlastend für die Frauen, mit einer unabhängigen Person diese brisante Lebensentscheidung zu reflektieren.

Frau Vogt, Sie leiten die psychologische Beratungsstelle der Diakonie in Krefeld, beraten bei Schwangerschaftskonflikten. Was erleben Sie in Ihren Beratungsgesprächen?

Andrea Vogt: Die Gespräche sind sehr unterschiedlich. Es gibt Frauen, die sagen direkt, dass sie keine Beratung brauchen, weil sie sich in ihrer Entscheidung sicher sind. Ich mache von Anfang an klar, dass sie die Beratungsbescheinigung erhalten und das Gespräch ein freiwilliges Angebot ist. Manche öffnen sich dann, andere nicht. Es gibt auch Frauen, für die ist die Beratung sehr gut und sinnvoll, weil sie einen großen Konflikt haben und gar nicht genau wissen, wie sie sich entscheiden sollen.

Die Zahl der Abtreibungen ist zuletzt stark angestiegen. Wie erklären Sie sich das?

Andrea Vogt: Krieg, Energiekrise, Inflation: Viele können sich nicht mehr vorstellen, in dieser Situation ein Kind oder ein weiteres Kind zu bekommen. Hinzu kommen der Wohnungsmangel und die unsichere Arbeitssituation. Auch müssen die Vergleichszahlen genau angeschaut werden: Stammen die Zahlen aus der Zeit vor oder nach der Pandemie? 2019 gab es laut dem Statistischen Bundesamt deutschlandweit 101.000 Schwangerschaftsabbrüche, 2022 104.000. Während Corona sind aufgrund der Kontaktsperren die Zahlen gesunken, weil es weniger Schwangerschaften gab.

Was wünschen Sie sich in der Debatte um den Safe Abortion Day?

Andrea Vogt: Alle Frauen, die Beratung brauchen, sollten Zugang zu ihr haben. Schon heute gibt es in ländlichen Bereichen nicht genug Beratungsstellen. Wir dürfen die Frauen aber in ihrem Konflikt nicht allein lassen! Die Träger sollten kleine Standorte aufbauen und nicht ausschließlich in Ballungsräumen umfangreiche Beratungsangebote vorhalten.

Zudem hat sich die ärztliche Versorgung in den letzten Jahren verschlechtert. Die Zahl der Ärzte, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen, sinkt. So gibt es vermehrt Beispiele von Gynäkolog*innen, die in den Ruhestand gegangen sind und keine Nachfolge gefunden haben. Vor allem auf dem Land brauchen wir eine bessere ärztliche Versorgung.

Die Fragen stellte Jana Hofmann von der Diakonie RWL.

Links:

Broschüre: https://www.diakonie-rwl.de/themen/familie-frauen-bildung/beratung-schwangere-frauen